Fetisch Behinderung?
Datum: Donnerstag, 22.April 2004
Thema: Gesellschaft & Kommunikation



Über die Lust am gehandicapten Körper
Dieser Artikel erschien bereits 1997 im Magazin HANDICAP, hat aber bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt


Menschen mit Handicaps faszinieren Thomas K. (Name von der Redaktion geändert), seit er als Kind ein beinamputiertes Mädchen aus der Nachbarschaft beobachtete. Zu Hause band er sich heimlich ein Bein hoch und versuchte, an Krücken zu laufen, um die Behinderung zu simulieren. In der Pubertät verfestigte sich das diffuse Schuldgefühl, etwas Verbotenes zu begehren, zu der Auffassung, nicht normal zu sein. Auch Psychologen, die er später um Rat fragte, erklärten ihn für verrückt und pervers. Thomas K. verdrängte seine Neigung und heiratete eine nichtbehinderte Frau. Doch eine lustvolle Beziehung wollte sich nicht einstellen. Seine erotischen Phantasien kreisten ausschließlich um Formen und Bewegungen gehandicapter Körper. Er bewunderte die starken und selbstbewußten Frauen, auf die er beim Besuch von Behindertensportveranstaltungen einen voyeuresken Blick werfen konnte. Erst mit Ende Zwanzig entschloß er sich, aktiv auf behinderte Frauen zuzugehen. Seinen ersten sexuellen Kontakt empfand er als „wunderbare Erfüllung“. Inzwischen ist Thomas K. mit einer beinamputierten Frau verheiratet. Von seiner besonderen Vorliebe hat er ihr jedoch nie erzählt.

Die Geschichte des Amelotatisten Thomas K. ist exemplarisch, denn das Thema gilt nach wie vor als Tabu – in der Öffentlichkeit und in den Partnerschaften. Medizinisch-psychologisch wird der Amelotatismus (a-melos = griech. „ohne Glied“, tasis = Zuneigung), auch Amputismus oder Amputophilie genannt, als besondere Form der Paraphilie, also eines von den gesellschaftlichen Normen abweichenden Sexualverhaltens, beschrieben. Die neuere sexualwissenschaftliche Literatur spricht von einer Variante des Fetischismus, dem Deformationsfetischismus. Fetisch-Objekt sei in diesem Fall nicht ein unbelebtes Objekt oder Material wie Schuhe, Damenwäsche, Leder, Lack und Gummi, sondern der deformierte Körperteil der Sexualpartnerin oder sogar diese selbst.

Amelotatisten sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – männlichen Geschlechts. Zwar gibt es auch Männer, die sich von querschnittgelähmten Frauen, Armbehinderten, Verbrennungsopfern oder Orthesenträgerinnen sexuell angezogen fühlen, für ca. 90% aller Amelotatisten gelten jedoch Beinamputierte als besonders attraktiv. Die Vorliebe von Männern für behinderte Frauen hat eine lange Tradition; amelotatistische Versatzstücke finden sich in zahlreichen Zeugnissen der Kunst- und Kulturgeschichte. Bereits der Philosoph Michel de Montaigne (1533 - 1592) wußte in seinen Essays unter dem Titel „Über die Krüppel“ zu berichten: „Es gilt als Tatsache, daß ein Sprichwort in Italien sagt, wer nicht mit einem Krüppel geschlafen hat, kennt nicht die Süße der Venus in ihrer Vollkommenheit.“ In Henry Millers Roman „Wendekreis des Krebses“ von 1934 wird eine Hure mit Holzbein beschrieben. Bereits in den 20er Jahren bediente die englische Illustrierte „London Life“ die amelotatistische Klientel mit einschlägigen Artikelserien. Ein Titel: „Schön trotz Gliedmaßenverlust“. Auch in deutschen Frauenzeitschriften wie „Constanze“ und anderen Blättern tauchen seit den 60er Jahren vereinzelt Beiträge über die erotischen Vorzüge behinderte Frauen auf. Im amerikanischen Erotik-Magazin „Penthouse“ wurden in den 70er Jahren zahlreiche Briefe von Amelotatisten abgedruckt, in denen erstmals über spezifische Sexualpraktiken diskutiert wurde. Schließlich ist das Phämomen auch Thema im Film. In Peter Greenaways surrealem Frühwerk „ZOO“ bemühen sich zwei Männer um eine beinamputierte Frau, die sich auch das zweite Bein amputieren läßt, um beide Liebhaber zufriedenzustellen. In dem Streifen „Boxing Helena“ schneidet ein psychopathischer Chirurg der Hauptdarstellerin aus eifersüchtiger Liebe Arme und Beine ab. Bei den Dreharbeiten kam es zum Eklat, weil sich die bereits engagierte Kim Basinger weigerte, die Rolle zu übernehmen und deshalb wegen Vertragsbruchs zu einer Millionen-Dollar-Strafe verurteilt wurde.

Über die Ursachen des Phänomens finden sich in der spärlichen Literatur zum Amelotatismus verschiedene Spekulationen, die allesamt nicht recht überzeugen können und die Entscheidung, ob es sich um eine (frühkindliche) Störung oder eine biologische Konstitution handelt, offen lassen. Eine tradierte Auffassung besagt, daß Amelotatisten „schwache“ Männer seien, deren Persönlichkeitsgefühl bei der sexuellen Werbung und Eroberung behinderten Frauen gegenüber eher zur Geltung kommen könne. „Solchen halben Frauen gegenüber kann der Mann sich eben als ganzer Mann fühlen“, schrieb der Psychologe Wilhelm Stekel 1923. Eine andere Theorie klassifiziert das Phänomen als unvollständige bzw. maskierte Form des Sadismus. Zur sadistischen Strategie gehöre es, einer anderen Person Schmerz zuzufügen und sie danach beschützend in den Arm zu nehmen. Behinderte Frauen haben die Amputation bereits „verschmerzt“; der Amelotatist übernimmt somit nur den zweiten Teil des sadistischen Spiels.

Aufschlußreicher erscheint ein psychoanalytisches Denkmodell, das an Freuds Verständnis des Fetischismus im Zusammenhang des Ödipus- und Kastrationskomplexes anknüpft. Freud erklärt den Fetisch als „Ersatz für den Phallus des Weibes (der Mutter), an den das Knäblein geglaubt hat und auf den es nicht verzichten will. Denn wenn das Weib kastriert ist, ist sein eigener Penisbesitz bedroht.“ Imaginierte „Traumfrau“ für die meisten „Amp-Fans“, wie sich Amelotatisten selbst nennen, ist eine einseitig oberschenkelamputierte Frau, die keine Prothese trägt, sondern mit Achselkrücken geht und einen möglichst kurzen Rock anhat, unter dem der Beinstumpf nackt zu sehen ist. Der im Mittelpunkt des fetischisierten Begehrens stehende Stumpf fungiert demnach als Phallussymbol, das dem Mann den ursprünglichen Glauben an den Penis der Frau zurückerstattet und ihm so endlich seine latente Kastrationsangst nimmt. Tatsächlich ähnelt ein Oberschenkelstumpf – wie kein anderes Handicap – schon der Form und der anatomischen Situierung nach einem Phallus. Darüber hinaus machen verschiedene Illustrationen und erotische Geschichten in Amelotatisten-Magazinen den Bezug deutlich. So fungiert etwa das Reiben des Stumpfes am Körper des Partners in zahlreichen Phantasien von Amelotatisten als Initiation des Geschlechtsaktes.

Theorie hin oder her – die meisten Amelotatisten finden trotz intensiver Beschäftigung mit dem Phänomen keine individuell hinreichende Erklärung für ihre Vorliebe. Thomas K. hält den Amelotatismus schlichtweg darwinistisch für eine „Notlösung der Natur, die Fortpflanzungsfunktionen von Leuten, die aus der Norm fallen, zu garantieren.“ Vor allem wollen Amelotatisten ihre Neigung nicht als Fetischismus mißverstanden wissen; sie vergleichen sie eher mit der Homosexualität, die noch vor wenigen Jahrzehnten ähnlich tabuisiert war. „Indem wir behinderten Frauen Sexappeal und erotische Ausstrahlung zusprechen, brechen wir mit herrschenden Klischees der Männergesellschaft“, argumentiert Thomas K. ganz emanzipatorisch. „Das gängige Schönheitsideal war immer schon ein ideologisches Dogma.“ Doch mit dem Coming Out haben Amelotatisten ihre Schwierigkeiten, viele von ihnen arbeiten lieber „Under Cover“. Die Crux besteht jedenfalls nicht in der Entscheidung über natürliche Veranlagung oder Fetischismus, sondern in der Frage, wie mit dem Phänomen umgegangen, wie es kontrolliert und perspektiviert wird. Wer in einem schmerzhaften und langwierigen Prozeß seine Vorliebe entdeckt und akzeptieren lernt, wer seinen Lebensplan umgestaltet und sich offen und ehrlich zu seiner Neigung bekennt, wer schließlich seine behinderte Partnerin in ihrer personalen Integrität, in der das Handicap nur ein einzelner Aspekt ist, kennenzulernen bemüht ist, dem wird keine Kritik entgegenzuhalten sein. Die Partnersuche beginnt mit einem empirischen Problem: Amputierte Frauen sind rar. Und vielleicht ist das Feld deshalb – derart enggeführt – besonders kontaminiert von einer ganzen Reihe Verführer und Komödianten, Heiratsschwindler und Desperados. Die Versuche von Amelotatisten und amputierten Frauen, zueinander zu finden, muten wie ein Tribunal an, auf dessen Prüfstand Liebe und Betrug, Wahrheit und Unaufrichtigkeit zu stehen scheinen. Das wird am Beispiel von Kontaktanzeigen besonders deutlich, die von beiden Gruppen als Medium der Beziehungsanbahnung genutzt werden. Vor allem in der Zeitung „Heim und Welt“, dem Kontaktmagazin „Privat“ sowie in den Behindertenfachzeitschriften wird inseriert. Auch HANDICAP druckt regelmäßig entsprechende Anzeigen ab.

„Wenn ein Amelotatist auf die Kontaktanzeige einer körperbehinderten Frau antwortet, so ist er natürlich immer ledig und an einer festen Beziehung interessiert, was in den wenigsten Fällen stimmt“, faßt Christine M. (Name von der Redaktion geändert) ihre schlechten Erfahrungen zusammen. Als besonders eklatanten Betrug empfinden amputierte Frauen den Versuch von Amelotatisten, mit fingierten Briefen von Frau zu Frau vor Bösewichten zu warnen, um sich das Vertrauen und die Adresse der Inserentin zu erschleichen. So schreibt eine männliche „Isolde B.“: „Leider gehöre auch ich zu dem Personenkreis derjenigen, die sich durch diese Annonce angesprochen fühlen müssen. (...) Ich war leider auch schon telefonischen Belästigungen ausgesetzt. Ein anonymer Anrufer machte mir zweideutige Angebote, zugleich mit versteckten Anspielungen auf meine Behinderung, speziell auf meinen Stumpf.“ Auch den umgekehrten Fall, daß ein Amelotatist Antwort von einem als Frau getarnten Amelotatisten erhält, gibt es. Die folgenden Zeilen einer „Monika“ entstammen der Feder eines Mannes: „Ja, ich weiß inzwischen, daß es Männer gibt, die auf eine beinamputierte Frau abfahren (Gott sei Dank, sonst wären wir ganz arm), besonders wenn sie ein so gutes Gesicht und eine schöne Brust wie ich hat. (...) Ich bin leider schon zu oft enttäuscht worden. Als beinamputierte Frau wird man leicht ausgenutzt und letztendlich gedemütigt.“ Worauf die Praxis der Verstellung und das Spiel auf der Klaviatur der Anonymität zielt, macht der Brief eines – vermutlich authentischen – Christof K. deutlich, der vorbeugend schreibt: „Solltest Du ein verkappter Mann sein, der die gleiche Vorliebe wie ich hat (auch das gibt es in Kontaktanzeigen leider häufig), dann darfst Du Dich aber trotzdem zwecks Erfahrungsaustausch bei mir melden. Wesentlich lieber wäre mir naturgemäß der Kontakt mit meiner beinamputierten Traumfrau.“

Die Traumfrau rückt in weite Ferne, wenn das Lügengeflecht unentwirrbar wird. Jede reale Frau bleibt als potentielle Partnerin ausgespart, wenn Amelotatisten in ihren Briefen nur noch mit sich selbst zu kommunizieren scheinen. Ein Mann, der bei amputierten Frauen als das „Chamäleon“ bekannt ist, treibt die Entropie des postalischen Verkehrs auf die Spitze: Gleichzeitig antwortet er unter seinem echten Namen, unter falschen Männernamen und verschiedenen Frauennamen auf dieselben Anzeigen.

Daß amputierte Frauen den Strategien ihrer „Fans“ heute nicht mehr ganz so schutzlos ausgeliefert sind, ist das zweifelhafte Verdienst eines weiteren Briefeschreibers, des „großen Unbekannten“. Dabei handelt es sich um einen Fetischisten, der mehr als ein Dutzend Frauen seit über 15 Jahren mit anonymen Briefen und Anrufen regelrecht verfolgt, ohne daß seine Identität je ermittelt werden konnte. Als Absenderadresse verzeichneten seine Briefe häufig die Namen von körperbehinderten Frauen, die ebenfalls belästigt wurden. Die Betroffenen schlossen sich zusammen, um gemeinsam ein Täterprofil zu entwickeln und erstatteten Anzeige. Dabei stellte sich heraus, daß der „große Unbekannte“ neben Frauenbildern mit abgeschnittenen Beinen vor allem zynische Schüttelreime der immergleichen Machart versandte. Ein Beispiel: „Ach, wie ist das Leben fein: Eva hat nur noch ein Bein! So wünsche ich Dir zum frohen Fest alles Gute mit Deines Beines Rest. Auf daß Du hast auch im neuen Jahr mit Deinem Stumpf, der fürwahr ist hübsch und fein, viel Spaß und Sex obendrein. So wünsche ich Dir auch viel Glück mit Deiner Prothese „Klack-Klick“. Mögest Du immer fröhlich sein über Dein amputiertes Bein!“

Die Ermittlungen der Polizei verliefen mehrmals im Sande, auch weil sie nicht gerade engagiert vorangetrieben wurden. Auf einer Hamburger Dienststelle wurde einer Amputierten sogar einmal beschieden: „Seien Sie froh, daß sich überhaupt jemand um Sie kümmert“. Erst ein Fernsehbericht im Magazin „Panorama“ sorgte im Herbst 1994 für kräftigen Aufruhr in der Szene. Mit Hilfe betroffener Frauen konnte eine Vertriebsadresse in Hamburg aufgedeckt werden. Die Polizei konfiszierte dort eine umfangreiche Sammlung einschlägiger Erotika. Das Verfahren gegen den Vertriebsleiter wurde jedoch später gegen Zahlung eines Bußgeldes eingestellt, weil er nur wegen der Urheberrechtsverletzung durch raubkopierte Videos belangt wurde.

Kein Wunder, daß es körperbehinderten Frauen immer schwerer fällt, selbst ehrlich auftretenden Amelotatisten Vertrauen zu schenken. Allzusehr fühlen sie sich von Männern, die auf Reha-Messen verstohlen fotographieren oder in Kliniken und Sanitätshäusern herumlungern, als bloßes Objekt der Begierde mißbraucht. „Kommt einmal ein Bericht von einer körperbehinderten Frau im Fernsehen, so setzen viele Amelotatisten alles daran, nun an die Adresse und Telefonnummer dieser Frau zu gelangen“, erzählt Christine M. Sie ist davon überzeugt, daß Amelotatisten die Stigmatisierung von Frauen mit Behinderungen nur noch verstärken: „Die Gesellschaft bemißt ihren Wert oft negativ aufgrund der Behinderung, bei den Amelotatisten steht sie hoch im Kurs ebenfalls aufgrund der Behinderung.“ Ihrer Ansicht nach könne keine Frau – ob behindert oder nicht – mit einem Amelotatisten glücklich werden, weil dieser zwanghaft promisk sei und seine Partnerinnen immer wieder wechseln müsse. „Der Fetischismus beinhaltet eine starke Suchtkomponente“, betont Christine M. „Ein Objekt der Begierde kann einen Fetischisten nie auf längere Sicht befriedigen, oder haben Sie schon mal von einem Schuhfetischisten gehört, der mit einem Paar Schuhe auf Dauer glücklich geworden wäre?“

Andere Frauen sehen die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme bis hin zu vertrauensvollen Partnerschaften positiver. Sie unterstützen zum Beispiel die Initiative einer Kölner Amelotatisten-Gruppe, die anläßlich der REHA-Messe 1995 mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit trat und sich darin für einen offenen und vorurteilslosen Umgang mit dem Phänomen aussprach. Die Enttabuisierung des Themas hält auch die beinamputierte Melanie L. (Name von der Redaktion geändert) für die beste Option. „Man sollte mit offenen Karten spielen, die Frauen umfassend aufklären und den Amelotatisten die Grenzen der Zumutbarkeit verdeutlichen.“ Seit sie offensiv an die Thematik herangeht, wird Melanie L. nicht mehr belästigt. „Wenn ich bei Behindertensport-Veranstaltungen verdächtig fotografierende Männer anspreche, verschwinden die sofort mit ihren Kameras“, hat sie festgestellt. Im Zusammenhang einer offensiven Strategie gegenüber Amelotatisten steht auch die Idee der Selbstvermarktung einschlägigen Foto- und Videomaterials, wie sie in den USA bereits seit mehr als 10 Jahren praktiziert wird. „Ich habe nichts dagegen, wenn sich Frauen aus kommerziellen Beweggründen zur Schau stellen“, bekennt Melanie L. „Die Sache ist in Ordnung, wenn beide Seiten damit einverstanden sind.“ Sie findet die meisten der angebotenen Erotika ohnehin recht „harmlos“: „Wenn Frauen auch in Deutschland die Sache selbst in die Hand nehmen würden, ließe sich das Geschäft mit der Lust noch viel besser steuern und kontrollieren.“

Tatsächlich verfügen Amelotatisten über ein gut organisiertes Informationssystem und tauschen weltweit Erfahrungen und Materialien aus. „Ampix“, der erste kommerzielle Versandhandel, wurde 1974 von Geschäftsleuten in Los Angeles gegründet. Das vierteljährlich in England erscheinende Fanzine „OverGround“ gehört bereits seit vielen Jahren zur Pflichtlektüre. 1986 erhielt das Geschäft eine neue Dimension: In den USA gründete die beinamputierte Bette Hagglund die Zeitschrift „Fascination“. Aus diesem Projekt entwickelte sich die von Jama Bennett geleitete Gruppe „ASCOT“ (Amputee Support Coalition Of Texas), eine Organisation von amputierten Frauen, die sich der Partnersuche widmet. ASCOT veranstaltet seit 1986 alljährlich dreitägige Kontakttreffen mit Amelotatisten. Gegen eine Gebühr von 225 Dollar können interessierte Männer teilnehmen; Kost und Logis für die amputierten Damen zahlt ASCOT. Bei den sogenannten Konferenzen wird reichlich Programm geboten: Beim Meeting im Oktober 1995 in Houston gab es einen Kostümball, ein Barbecue am Pool, eine Schwimm-Party sowie eine Party im Nachtclub. Ein deutscher Amelotatist: „Für mich ist ASCOT ein besserer Puff.“

Neuerdings präsentieren sich die meisten Dienste zeitgemäß im Internet. Die E-Zines haben so sprechende Titel wie „The Virtual Prosthetist“ oder „Venus von Milo“. Anhand der Online dokumentierten Zugriffszahlen läßt sich hier auch die Nachfrage genau beziffern. „OverGround“ im Internet wurde von Juli bis September 1996 23.634 Mal angewählt. Die „Amputees are Beautiful“-Home Page von Carol Davis und ihrer Firma „CD Productions“ verzeichnet Anfang Januar 1997 die Benutzerzahl von 130.000. Hier erzählt Carol von ihrer Amputations-Geschichte und ihrem offenherzigen Verhältnis zu Amelotatisten. Hier bietet sie ihre eigenen Videos an. Professionell hat sie sich verschiedenartig behinderte Models zusammengesucht, die die spezifischen Wünsche ihrer männlichen Klientel erfüllen sollen. Die „ASCOT Matchmaker Personal ADS“ vermittelt „die sieben neuen Damen Alexandra M., Ira Z., Olga P., Irena S., Tatiana Z. und Tatiana I.“ Die mit Porträtfotos und Amputationsart verzeichneten Frauen „wollen nette Männer kennenlernen, andere wollen eine Familie haben“, heißt es in dem Angebot. Ein anderer Anbieter wirbt mit einer Anzeige in einem Fanzine: „Ein Freund in Madagaskar ist bereit, unentgeltlich Kontakte zu mehreren amputierten Damen in Madagaskar herzustellen. Allerdings wird von den Damen eine Einladung nach Europa, d.h. Übernahme der Flugkosten sowie Unterbringung erwartet.“

Auch in Deutschland gibt es mehrere Publikationen und Vertriebsadressen von Amelotatisten. „AMP-Fax“ ist eine unregelmäßig erscheinende Broschüre, die für DM 20,- verkauft wird. Darin wechseln sich pseudowissenschaftliche Aufklärungsstories mit erotischen Geschichten und Erfahrungsberichten, reproduzierten Berichten aus anderen Zeitschriften, zotigen Fundstücken aus Tageszeitungen („Hai fiel Mädchen an“, „Raubvogel erhielt Alu-Beinprothese“), Informationen aus der Szene und praktischen Tips für Amputierte („Kein Phantomschmerz mit Alufolie“) ab. Das Text-Sammelsurium hat keinen pornographischen Charakter, macht aber die fetischisierte Neigung seiner Leser deutlich. In der Geschichte „Guten Morgen!“ wird bespielsweise die Morgentoilette und das Anziehen der Prothese minutiös abgeschildert. Eine Textprobe: „Nun wird der Stumpf ‘eingepackt’. Zuerst ziehe ich den Strumpf, der eigentlich ein Schlauch ist, über den Stumpf so hoch es geht. Dann stehe ich auf, stelle die Prothese so, daß ich mit dem Stumpf in den Schaft komme. Ich stütze den Stumpf dabei kurz auf den Schaft ab um das Gleichgewicht mit dem hochgezogenen Rock zu halten. Nun nehme ich das Ende des Stumpfschlauchs, ziehe es durch den Schaft und durch das Ventilloch.“ Hochnotpeinlich wirken in diesem Kontext die ins „AMP-Fax“ eingestreuten Sentenzen und Sinnsprüchen wie: „Wer mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Zentimeter vorwärts“.

Von eher unfreiwilliger, weil für den Fetischisten wohl kaum bewußter Komik, zeugt dagegen die maschinengeschriebene Angebotsliste eines Anbieters erotischer Geschichten: Die Broschüre mit dem schlüpfrigen Titel „Stöckel und Strümpfe – Schuhladenbesitzer bedient amputierte Frauen persönlich“ ist für DM 30,- zu haben. Für das futuristische Standardwerk der Amelotatisten-Zunft müssen sogar noch zehn Mark mehr berappt werden. Es lautet: „Stella 66 – Eine Phantasie aus der Zukunft. Dort sind alle Frauen freiwillig amputiert“.

Text: Gunther Belitz







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